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Nachbericht

Ernährung und Alltagsbewältigung – 61. Wissenschaftlicher Kongress in Kassel

Eröffnung des Kongresses mit Frau Prof. Dr. Anette Buyken

Foto: Christian Augustin

Der 61. Wissenschaftliche Kongress der DGE lieferte unter dem Motto „Ernährung und Alltagsbewältigung – ein Spannungsfeld für Individuum, Haushalt und Gesellschaft“ Antworten auf diese Frage. In Kooperation mit dem Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn fand die Tagung vom 4.-6. März 2024 mit rund 650 Wissenschaftler*innen und Ernährungsfachkräften erstmalig in Kassel statt. Kongresshöhepunkt war die Veröffentlichung der neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen (Food-Based Dietary Guidelines, FBDG) für Deutschland.

In seiner Eröffnung betonte DGE-Präsident Prof. Dr. Bernhard Watzl die Bedeutung der neuen DGE-Empfehlungen und deren Umsetzung als zentrale Zukunftsaufgabe. Bundesernährungsminister Cem Özdemir trat in seinem Videogruß für gesundes und nachhaltiges Essen und Trinken für alle, unabhängig vom sozioökonomischen Status, ein. Prof. Dr. Birgit Riegraf, Präsidentin der Universität Paderborn begrüßte die Teilnehmer*innen im Namen der Universität, die den Kongress durch Prof. Dr. Anette Buyken und Prof. Dr. Lars Libuda wissenschaftlich leitete. Libuda lobte bereits erfolgte gesellschaftspolitische Fortschritte und sprach sich dafür aus, faire Umgebungen zu schaffen, um für alle „die bessere Wahl zur einfachen Wahl“ zu machen.

Meilenstein: neue lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen der DGE (FBDG)

Highlight der Tagung war die Veröffentlichung der neuen FBDG. Anne Carolin Schäfer, Ernährungswissenschaftlerin im Referat Wissenschaft der DGE, hat das mathematische Optimierungsmodell maßgeblich mit entwickelt. Sie erläuterte die wissenschaftlichen Grundlagen und stellte die neuen DGE-Empfehlungen sowie den DGE-Ernährungskreis vor. Erstmals gibt es eine eigene Lebensmittelgruppe für Hülsenfrüchte und Nüsse sowie ein gebündeltes Kreissegment Obst und Gemüse. Die Zufuhrempfehlung für tierische Lebensmittel reduziert sich um eine Milchportion täglich und maximal 300 g Fleisch bzw. Wurst wöchentlich. Die Empfehlungen richten sich an gesunde Erwachsene, die sich mit einer Mischkost, inklusive Fleisch und Fisch, ernähren.

Plenarvorträge mit Perspektiven aus Gesellschaft, Haushalt und Individuum

Frau Prof Dr. Jacqueline Broerse während ihres Vortrages "Food system transformation: the role of Living Lab"

Foto: Christian Augustin

Gesellschaftspolitische Herausforderungen

Im ersten Plenarvortrag „Food system transformation: the role of Living Labs“ erläuterte Prof. Dr. Jacqueline E. W. Broerse, Freie Universität Amsterdam, die herausfordernden globalen Transformationsprozesse. Innovative Forschungsmethoden zeigten vielversprechendes Potenzial: In sogenannten Living Labs würden Experimente unter Alltagsbedingungen und ohne Konkurrenzdenken durchgeführt. Als Beispiele stellte sie die Projekte FIT4FOOD2030 und FOODCLIC vor. Broerse argumentierte, dass für zukünftige Erfolge isolierte Anstrengungen nicht ausreichten, sondern die Fundamente der Lebensmittelsysteme umfassend verändert werden müssten.

Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies während ihres Vortrages „Nachhaltig, gesundheitsförderlich, bezahlbar und wohlschmeckend – Herausforderungen für private Haushalte“

Foto: Christian Augustin

Verantwortungslast für Privathaushalte

„Nachhaltig, gesundheitsförderlich, bezahlbar und wohlschmeckend – Herausforderungen für private Haushalte“ lautete der Titel des zweiten Hauptvortrags. Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies, Universität Paderborn, lenkte hier den Blick auf die Privathaushalte. Diese seien vom weitreichenden Angebot bei gleichzeitig komplexen Anforderungen teilweise überfordert. Entsprechend müssten Verbraucher*innen in der Verantwortungslast unterstützt werden – beispielsweise durch eine verpflichtende Ernährungs- und Verbraucherbildung sowie politische Maßnahmen wie Werbeeinschränkungen und bindende Standards in der Gemeinschaftsverpflegung.

Mentale Gesundheit

Der Abschlussvortrag fokussierte sich schließlich auf das Individuum. Zum Thema „Ernährung und mentale Gesundheit – Zusammenhänge, Ansatzpunkte und Effekte“ präsentierte Prof. Dr. Louise Dye, Universität Sheffield, die Zusammenhänge zwischen Ernährung, psychologischem Wohlbefinden und kognitiver Leistung. Neben den Wirkungsmechanismen einzelner Superfoods wie z. B. Tee und dunkler Schokolade sowie gesundheitsfördernden Ernährungsmustern wie einem regelmäßigen Frühstück, thematisierte sie die Folgen von Ernährungsunsicherheit für die psychische Gesundheit.

Prof Dr. Lars Libuda kündigt den Plenarvortrag von Frau Prof. Dr. Louise Dye (per Video zugeschaltet) an.

Foto: Christian Augustin

Abstracts der Plenarreferent*innen

Vortragsreihen, Posterpräsentationen, Symposien – Wissenschaftler*innen präsentieren eine Vielfalt aktueller Themen

Die Referent*innen der DGE-Fachgruppe Physiologie und Biochemie der Ernährung diskutierten zur Frage „Wo stehen wir beim Thema Fleisch?“. Ihre Schlussfolgerung unterstrich die Bedeutung eines insgesamt ausgewogenen Ernährungsmusters und damit auch die Reduzierung des aktuell überhöhten Fleischverzehrs. Im Fachbereich Epidemiologie und Public Health Nutrition wurde die Ernährungsstrategie als sinnvolle Zukunftsvision vorgestellt, deren Maßnahmenportfolio aber nachgebessert werden müsste. Das Symposium zum Nutri-Score diskutierte die Überarbeitung und Zukunft dieser Nährwertkennzeichnung. Sie ist eine Ergänzung zu den FBDG ohne dabei selbst ein Kommunikationskanal für Ernährungsempfehlungen zu sein.

Ein weiteres Kongresshighlight war die Verleihung der DGE-Ehrenmitgliedschaft. Sie ging an den ehemaligen DGE-Vizepräsidenten und Leiter der Abteilung Epidemiologie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke Prof. Dr. Heiner Boeing. Für die DGE-Ehrenmitgliedschaft wählt die Mitgliederversammlung besondere Persönlichkeiten und Menschen mit hervorragender Expertise, aber auch mit außergewöhnlichem und langjährigem Engagement sowie mit einem Herz für die Ziele der DGE aus. Es sind Persönlichkeiten und Expert*innen aus dem Bereich der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften aus ganz Deutschland sowie dem deutschsprachigen Ausland, die die DGE nachhaltig geprägt und gefördert haben.

Die Abendveranstaltung wurde durch die Posterpreisprämierung bereichert und bot Gelegenheit für den zwanglosen Austausch unter den Teilnehmer*innen.

Der diesjährige DGE-Kongress präsentierte umfassende Lösungsansätze, die bei Gesellschaft, Privathaushalt und Individuum ansetzen, um die komplexen Herausforderungen der gesundheitsfördernden und nachhaltigen Ernährung im Alltag zu bewältigen. Prof. Buyken bekräftigte in ihrer Verabschiedung, dass „kontroverse Diskussionen und manchmal spürbarer Gegenwind auf einen bevorstehenden Umbruch hinweisen können. In diesem Sinne sähe man kommenden Herausforderungen als Fachgesellschaft positiv entgegen.“ Abschließend lud die DGE zum 62. Wissenschaftlichen Kongress vom 12.-14. März 2025 nach Kassel ein.