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Presseinformation

Hochverarbeitete Lebensmittel: DGE-Arbeitstagung beleuchtet kontroverses Thema

Auf ihrer Arbeitstagung nimmt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) das Thema hochverarbeitete Lebensmittel mit Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis in den Fokus.

Herr Prof. Jakob Linseisen eröffnet die Arbeitstagung

Die Zahl der Studien zu Ultra-Processed Foods (UPF) wächst rasant – und mit ihr die Unsicherheit: Was genau macht ein Lebensmittel „ultra-verarbeitet“? Wirken sich alle hochverarbeiteten Lebensmittel langfristig gleichermaßen negativ auf die Gesundheit aus und welche Mechanismen stehen hinter den beobachteten Zusammenhängen? Welche Rolle spielen Medien, Konsumverhalten und Politik? Diese und weitere Fragen diskutieren über 250 Teilnehmende am 18. September 2025 im Wissenschaftszentrum Bonn und Online. Prof. Dr. Jakob Linseisen, Vorsitzender der DGE-Arbeitsgruppe (Stark) verarbeitete Lebensmittel, Lehrstuhl für Epidemiologie der Universität Augsburg, hat die Wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung übernommen. „Auf der Basis des momentanen Wissens wollen wir eine differenzierte und aktuelle Positionsbestimmung für das umstrittene Konzept der hochverarbeiteten Lebensmittel (UPF) vornehmen“, sagt Linseisen. „Ob Lebensmittel gesund oder ungesund sind, hängt von ihrem Nährstoffprofil ab, nicht allein von ihrem Verarbeitungsgrad.“

UPF-Konzepte und wissenschaftliche Evidenz

Das UPF-Konzept aus lebensmitteltechnologischer Sicht bewertet Dr. Ralf Greiner vom Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe. Besonders das international verbreitete NOVA-System steht in der Kritik. Es unterscheidet vier Stufen der Verarbeitung, lässt jedoch zentrale Faktoren wie Rezeptur, Nährstoffverfügbarkeit und konkrete Verarbeitungsschritte weitgehend außer Acht. So sei das NOVA-System ungeeignet, die Alternativen zu tierischen Lebensmitteln differenziert einzuordnen, so Greiner. Sie würden generell als hochverarbeitet und damit per se als ernährungsphysiologisch unausgewogen betrachtet. Derzeit existiert noch kein wissenschaftlicher Konsens über einheitliche, objektive und eindeutige Kriterien für eine Beschreibung von Verarbeitungsgraden.

Die Ergebnisse epidemiologischer Studien zum Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln und dem Zusammenhang von chronischen Erkrankungen stellt Prof. Dr. Jutta Dierkes von der Universität Bergen in Norwegen vor. Sie diskutiert mögliche Mechanismen wie beispielsweise den Einfluss der Textur von Lebensmitteln auf das Essverhalten. Die größten Effekte für negative Zusammenhänge in Bezug auf Gesundheit ergeben sich für Erfrischungsgetränke und hochverarbeitete Wurstwaren. Dierkes stellt daher in Frage, ob die Analyse der Lebensmittelzufuhr nach dem Verarbeitungsgrad einen Vorteil gegenüber der Analyse von einzelnen Lebensmittelgruppen liefert.

Neue Forschungsergebnisse zu Gesundheitsrisiken

Während Beobachtungsstudien zeigen, dass hochverarbeitete Lebensmittel in engem Zusammenhang mit einer Vielzahl chronischer Erkrankungen stehen – von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Krebsarten bis hin zu Diabetes, Depressionen und Adipositas – können den Nachweis für einen ursächlichen Zusammenhang nur Interventionsstudien liefern. Prof. Dr. Jakob Linseisen stellt die Ergebnisse aus bisher publizierten Interventionsstudien vor. Sie zeigen bei hohem Verzehranteil nachteilige Effekte insbesondere auf das Körpergewicht. Hauptursache scheint die höhere Energiezufuhr durch UPF zu sein, begünstigt durch hohe Energiedichte und weiche Texturen. Linseisen diskutiert weitere Wirkmechanismen und hinterfragt, ob zusätzlich zu den existierenden Ernährungsempfehlungen Aussagen zur Lebensmittelverarbeitung erforderlich sind.

Die französische Kohortenstudie NutriNet-Santé mit über 180 000 Teilnehmenden war eine der ersten internationalen Langzeitstudien, die die Zusammenhänge zwischen UPF und chronischen Erkrankungen nachwies und dadurch Ernährungsrichtlinien in mehreren Ländern beeinflusste. Aktuell rücken insbesondere Zusatzstoffe in den Blick: Das Forschungsprogramm ADDITIVES untersucht die Wirkung von Nitriten, künstlichen Süßstoffen, Emulgatoren und weiteren Stoffen, die in UPF weit verbreitet sind. Erste Ergebnisse belegen ein höheres Risiko für verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck. Auch die mögliche Rolle von Verpackungskontaminanten wird erforscht. Dr. Mathilde Touvier, INSERM (National Institute of Health and Medical Research), Paris, präsentiert die neuesten Erkenntnisse aus diesen Projekten.

Ein typisches Beispiel für hochverarbeitete Lebensmittel sind pflanzliche Milchalternativen aus Soja, Hafer, Mandel, Reis oder Erbsen, die zunehmend Kuhmilch ersetzen. Dr. Britta Nagl, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin, weist in ihrer Risikobewertung von Pflanzendrinks darauf hin, dass diese sich in ihrem Nährstoffprofil erheblich von Kuhmilch unterscheiden, insbesondere, wenn sie nicht mit Nährstoffen angereichert sind. Zu den langfristigen Auswirkungen eines häufigeren Konsums als Ersatz für Kuhmilch und den Langzeitkonsum auf die Gesundheit liegen bisher nur wenige Daten vor. Besonders für vulnerable Gruppen wie Kinder, Schwangere und Stillende können Nährstoffdefizite entstehen, wenn nicht angereicherte Produkte regelmäßig anstelle von Kuhmilch konsumiert werden. Nagl thematisiert auch mögliche Belastungen durch Schwermetalle und Mykotoxine.

Relevanz für die Praxis und Diskussion

Ob das UPF-Konzept für Verbraucher*innen hilfreich ist und zu einer besseren Lebensmittelauswahl führt, beleuchten verschiedene Expert*innen, indem sie den UPF-Konsum aus Verbraucher*innen-Perspektive analysieren, konkrete Szenarien aus der Ernährungsberatung vorstellen, die Rolle von UPF in den sozialen Medien untersuchen und die Herausforderungen und Möglichkeiten des Umgangs mit UPF in der Gemeinschaftsverpflegung zeigen. In der abschließenden Diskussion „UPF im Jahr 2025 – Pro und Contra“ beleuchten Wissenschaftler*innen unter der Moderation von Prof. Dr. Jörg Meier, Hochschule Neubrandenburg, fachliche Differenzen und Perspektiven für die Zukunft.

Die Abstracts zur Arbeitstagung finden Sie in unserer digitalen Pressemappe.