Mangelernährung in deutschen Kliniken und Pflegeheimen
Auswertung der nutritionDay-Daten für den 14. DGE-Ernährungsbericht zeigt Handlungsbedarf
(dge) In deutschen Kliniken und Pflegeheimen sind bis zu 30 % der Patienten und bis zu 25 % der Bewohner mangelernährt. Dies ergab die Auswertung der nutritionDay-Daten, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) als Vorveröffentlichung zum 14. DGE-Ernährungsbericht1 herausgibt.
Während international zahlreiche Studien zur Ernährungssituation in Kliniken und Pflegeheimen vorliegen, ist die Datenlage in Deutschland spärlich. Ziel des von der DGE und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) gemeinsam initiierten und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Vorhabens für den 14. DGE-Ernährungsbericht war es daher, die Ernährungssituation in deutschen Kliniken und Pflegeheimen zu bewerten und international zu vergleichen. Dafür wurden die von 2006 bis 2018 erhobenen nutritionDay-Daten zur Häufigkeit von Mangelernährung sowie zu bestehenden Versorgungsstrukturen in Kliniken und Pflegeheimen in Deutschland erstmals systematisch ausgewertet. „Die Ergebnisse zeigen deutlich Handlungsbedarf auf. Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungsversorgung in deutschen Kliniken und Pflegeheimen sind dringend erforderlich, um der Entwicklung von Mangelernährung vorzubeugen und bestehende Ernährungsprobleme angemessen zu behandeln“, sagt Prof. Dr. Dorothee Volkert vom Institut für Biomedizin des Alterns der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie hat das Vorhaben in enger Zusammenarbeit mit nutritionDay Wien, DGEM und DGE durchgeführt.
Defizite bei Ernährungsstrukturen und Fachkompetenz
Im europäischen Vergleich schneiden deutsche Einrichtungen hinsichtlich standardmäßig vorhandener Ernährungsstrukturen deutlich schlechter ab: 2018 verfügten nur 10 % der deutschen Kliniken und 30 % der Pflegeheime über eine Diätassistenz, in den anderen teilnehmenden Ländern Europas waren es 63 % und 86 %. Ein Ernährungsteam bzw. eine Ansprechperson für Ernährung gab es in 58 % der Kliniken und 45 % der teilnehmenden Wohnbereiche in Pflegeheimen in Deutschland, in Europa waren es 82 % bzw. 71 %. Dabei zeigte sich, dass Ernährungsmaßnahmen wie die Gabe von angereicherter Kost oder Trinknahrung deutlich häufiger ergriffen wurden, wenn Ernährungsfachkräfte verfügbar und ein routinemäßiges Screening auf Mangelernährung etabliert waren. Ernährungsmaßnahmen wurden zwar mit zunehmender Schwere der Mangelernährung häufiger eingesetzt, dennoch erhielt selbst bei schwerer Mangelernährung nur ein Teil der Betroffenen eine Intervention. Mit abnehmender Essmenge und mit schlechter werdendem Ernährungszustand nahmen die Mortalität und im Krankenhaus auch die weitere Aufenthaltsdauer zu. Ein Viertel der teilnehmenden Stationen führte klinische Ernährung ohne Richtlinien oder Standards durch. Da am nutritionDay vermutlich vor allem ernährungsmedizinisch interessierte und engagierte Institutionen teilnehmen, ist davon auszugehen, dass sich die Situation in deutschen Kliniken und Pflegeheimen insgesamt noch schlechter darstellt.
Dringend notwendig: Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungsversorgung
Um die Ernährungsversorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen zu verbessern, empfehlen die Autoren ernährungsmedizinische Leitlinien und Standards flächendeckend zu implementieren und umzusetzen. Die routinemäßige Erfassung der Ernährungssituation bei Klinikaufnahme sollte flächendeckend erfolgen, um Mangelernährung bzw. das Risiko dafür zu identifizieren. Um eine gute ernährungsmedizinische Versorgung sicherzustellen, ist qualifiziertes Personal – von ernährungsmedizinisch ausgebildeten Ärzten über Pflegekräfte bis zur Diätassistenz und interdisziplinären Ernährungsteams – in jeder Einrichtung in ausreichendem Umfang zwingend notwendig. Die ernährungsmedizinische Fachkompetenz ist auszubauen, z. B. indem ernährungsmedizinische Inhalte stärker in die Ausbildung von Gesundheitsberufen integriert werden. Als Grundvoraussetzung für eine bedarfsdeckende Ernährung muss ein hochwertiges, attraktives Essensangebot in Kliniken und Pflegeheimen zum Standard jeder Institution gehören. Das beinhaltet auch texturmodifizierte Kostformen sowie angereicherte Mahlzeiten mit hoher Energie- und Nährstoffdichte, um Menschen mit Mangelernährung bzw. Risiko für Mangelernährung eine ausreichende Energie- und Nährstoffaufnahme zu ermöglichen.
Für den 2020 erscheinenden 14. DGE-Ernährungsbericht stellt die DGE vorab die Ergebnisse einzelner BMEL-geförderter Forschungsvorhaben mit besonderer Aktualität vor. Das Kapitel 2 „Ernährungssituation in Krankenhäusern und Pflegeheimen – Auswertung der nutritionDay-Daten für Deutschland“ ist als Vorveröffentlichung zum 14. DGE-Ernährungsbericht online verfügbar.
Hintergrundinformationen
Die DGE erstellt den DGE-Ernährungsbericht alle vier Jahre im Auftrag des BMEL. Die wissenschaftsbasierten DGE-Ernährungsberichte beschreiben und bewerten die Entwicklung der Ernährungssituation in Deutschland. Der Bundesregierung dienen die Forschungsergebnisse und Aussagen als Entscheidungshilfe für ihre gesundheits- und ernährungspolitischen Maßnahmen. Weitere Informationen zu den DGE-Ernährungsberichten sind in einem FAQ-Papierzusammengestellt.
Der nutritionDay ist ein weltweit durchgeführtes Projekt zur Sensibilisierung für das Thema Mangelernährung in Kliniken und Pflegeheimen. Seit über 10 Jahren findet jährlich eine Fragebogenerhebung statt, die einen Überblick über die Ernährungsversorgung in den teilnehmenden Einrichtungen gibt und einen nationalen und internationalen Vergleich ermöglicht. Der Termin für den nächsten nutritionDay ist der 7. November 2019. Weitere Informationen zum nutritionDay-Projekt und die Möglichkeit zur Teilnahme gibt es unter www.nutritionday.org.
1Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht – Vorveröffentlichung Kapitel 2. Bonn (2019); https://www.dge.de/14-dge-eb/vvoe/kap2