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„Mein Kind mag am liebsten Brokkoli“ – Essen in der Außer-Haus-Verpflegung

Baby hält Brokkoli

Welche Rolle spielen Vorbilder beim Essen? Beeinflussen Essensvorlieben die Bewertung der Außer-Haus-Verpflegung in Kita, Schule, Senioreneinrichtung, Klinik und Betriebsrestaurant? Was zeichnet aus Sicht einer Ernährungswissenschaftlerin ein qualitativ hochwertiges Essensangebot aus?

Interview mit Esther Schnur I DGE-Referat Gemeinschaftsverpflegung

Esther Schnur

Esther Schnur ist Diplom-Oecotrophologin und stellvertretende Leiterin im Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE). Sie steht für Fragen zur Gemeinschaftsverpflegung sowie DGE-Zertifizierung zur Verfügung und publiziert regelmäßig in Fachzeitschriften. Esther Schnur erarbeitet Unterstützungsmaterial für Betriebe und Einrichtungen, die sich von der DGE zertifizieren lassen möchten.

Esther Schnur spricht sowohl mit Eltern über das Essensangebot in Kita oder Schule, als auch mit der Chefin eines Catering-Unternehmens, die einen Weg finden muss, mit der derzeitigen Preisentwicklung im Lebensmittel- und Energiebereich umzugehen.

Sie ist Ernährungswissenschaftlerin, arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zur Gemeinschaftsverpflegung. Im Interview auf DGE-Blog bietet Esther Schnur Einblick in die Praxis und berichtet über die Feinarbeit, ein qualitativ hochwertiges Essensangebot auf den Weg zu bringen.

DGE-Blog:
Im Internet finden sich immer wieder Bilder von Essensangeboten in Kitas oder Schulen, die für Entrüstung sorgen. Wie aussagekräftig sind Ihrer Erfahrung nach diese Momentaufnahmen?

Esther Schnur:
Bei diesen Bildern bleibt oft unbeachtet, dass täglich mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland in Schulen, Kitas, Betriebsrestaurants oder im Krankenhaus essen.

Ich denke zuweilen zwar auch, dass das Gericht durchaus etwas schöner auf dem Teller angerichtet sein könnte, um allerdings eine Aussage hinsichtlich ernährungsphysiologischer Qualität und Geschmack treffen zu können, reicht eine bloße Aufnahme nicht aus. Das müsste vor Ort überprüft werden.

DGE-Blog:
Was sind nach Ihrer Erfahrung die Kriterien, ob ein Essensangebot als gut oder eher nicht so gut eingestuft wird?

Esther Schnur:
Ich bekomme beispielsweise Anrufe von Eltern, die sich enttäuscht und kritisch über das Essen in der Kita oder Schule ihrer Kinder äußern. Frage ich dann genauer nach, was nicht schmeckt oder was nicht gut ist, bekomme ich zum Beispiel die Antwort, dass sie unzufrieden damit sind, dass es bei einem Essen Kartoffeln und Blumenkohl mit Soße gab und das Kind lieber „Brokkoli pur“ mag. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass es viele individuelle Gründe gibt, warum ein Essen nicht geschmeckt hat bzw. als „schlecht“ empfunden wird.

Essen ist etwas sehr Persönliches. Es ist mit Traditionen, Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen verknüpft. Daher ist die Vorbildfunktion beim Essen ungemein wichtig. Lehnt z. B. ein Elternteil Gemüse kategorisch ab, fällt es schwer, Kinder zu überzeugen, dass Möhren, Kohlrabi oder Brokkoli lecker schmecken.

Neben der Vorbildfunktion der Eltern und Erziehungsberechtigten ist beispielsweise auch im Kitabereich der professionelle Umgang des pädagogischen Personals wie der Erzieher*innen oder Sozialpädagog*innen mit dem Essen von großer Bedeutung.

Gibt es mittags beispielsweise Lachs mit Spinat und Kartoffelbrei und eine Erzieherin oder ein Erzieher äußert sich vor den Kindern negativ über das Essen, dann ist das Essen für diesen Mittag unter Umständen gelaufen. Es ist wichtig, die eigenen Vorlieben und Abneigungen zurückzustellen und das Essen professionell zu begleiten.

Außer-Haus-Verpflegung

Die Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland ist unterschiedlich organisiert und wird von öffentlichen Trägern, privaten Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen bereitgestellt. Für die Produktion und Lieferung der Mahlzeiten werden oft externe Dienstleister*innen beauftragt, welche die Verpflegung vorbereiten und liefern. Weitere Informationen zur Gemeinschaftsverpflegung finden Sie auch in der Januar Ausgabe des DGE Wissenschaftsmagazins 1|23.

DGE-Blog:
Wie beurteilen Sie aus fachlicher Sicht ein qualitativ hochwertiges Mittagsangebot?

Esther Schnur:
Für mich als Ernährungswissenschaftlerin ist ein Mittagessen dann gesundheitsfördernd bzw. gut, wenn auf dem Teller reichlich pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornnudeln oder Kartoffeln zu finden sind, ab und zu ergänzt mit einem kleinen Stück Fleisch oder Fisch sowie Milch oder Milchprodukten.

Das allein reicht jedoch nicht, denn die Qualität der Ausgangsware muss stimmen und die Speisen müssen fachgerecht zubereitet werden. Ist der Blumenkohl schon welk und hat braune Stellen, so kann der beste Koch daraus kein schmackhaftes Gericht mehr zaubern. Andererseits nützt das frischeste Gemüse nichts, wenn es zu lange gekocht und dann noch über mehrere Stunden warmgehalten wird, bevor es auf die Teller kommt.

Das gelingt in der Gemeinschaftsverpflegung nur dann, wenn das Personal qualifiziert ist und die Rahmenbedingungen insgesamt stimmen. Nicht zuletzt gilt es, das Essen für die jeweilige Zielgruppe passend abzuschmecken, sowie appetitlich und heiß auf den Tellern anzurichten.

DGE-Blog:
Lässt sich die Qualität messen?

Esther Schnur:
Aus Sicht der DGE ist das einfach: Werden die Kriterien der verschiedenen DGE-Qualitätsstandards nachweislich umgesetzt, dann ist das für uns ein qualitativ hochwertiges, gesundes und nachhaltiges Essen. Schon bei der Planung ist zu beachten, dass ein gesundheitsförderndes und nachhaltiges Essen auch schmecken und Freude bereiten soll.

Besonders bei Kindern spielt die Vielfalt beim Geschmack sowie der Geruch, die Konsistenz, das Aussehen und das Hörerlebnisse eine große Rolle. Viele Kinder finden es toll, wenn die Möhre beim Abbeißen so richtig laut knackst. Negativ und wenig förderlich für den Appetit ist häufig der Geruch von Kohlgerichten.

DGE-Blog:
Wo liegen nach Ihrer Einschätzung die größten Herausforderungen, täglich ein qualitativ hochwertiges Essensangebot in der Gemeinschaftsverpflegung zu gewährleisten?

Esther Schnur:
Eine wesentliche Herausforderung ist, dass gerade beim Essen und Trinken in der Außer-Haus-Verpflegung viele Stellschrauben ineinandergreifen. Hier arbeiten unterschiedliche Berufsgruppen zusammen, damit das Essensangebot sowohl ausgewogen und nachhaltig, als auch ansprechend präsentiert wird. Zudem haben wir verschiedene Zielgruppen, deren Zielsetzung nicht immer leicht miteinander vereinbar sind.

DGE-Blog:
Was führt aus Ihrer Sicht vor allem bei der Verpflegung in Kita und Schule immer wieder zu Schwierigkeiten?

Esther Schnur:
Kinder möchten manchmal etwas Anderes essen, als es sich die Eltern wünschen und vorstellen. So wird an Kita oder Schule häufig der Wunsch herangetragen, dass die Kinder dort z. B. lernen, Vollkornprodukte oder Gemüse wie Rotkohl oder Rosenkohl zu essen. Und wenn diese Gerichte für die Kinder zunächst neu sind, führt dies in der Regel erst einmal zu Ablehnung. Mit viel Geduld und mehrmaligem Probieren klappte es dann meist.

DGE-Blog:
Mit welchen Herausforderungen kämpfen Unternehmen oder Personen, die das Essen zubereiten und anbieten?

Esther Schnur:
Durch die Corona-Zeit ist die Situation für Anbietende in der Außer-Haus-Verpflegung in vielen Bereichen sehr schwierig geworden. In der Betriebsverpflegung waren manche Restaurants ganz geschlossen oder es wurden bedingt durch die hohe Anzahl an Homeoffice nur sehr wenige Essen abgegeben. Auch der Bereich „Schule“ hat durch die langen Schulschließungen sehr gelitten. Dies hat zu einem massiven Einbruch bei den Einnahmen geführt.

Aktuell kommt der Kostendruck durch die gestiegenen Preise für Lebensmittel und Energie sowie die Anhebung des Mindestlohns hinzu.

Wir haben es gerade im Bereich Kita und Schule bei den Eltern dann auch oft mit falschen Vorstellungen zu tun, was so ein Essen realistischer Weise kosten darf. Wenn jemand ein Restaurant besucht oder Fast Food verzehrt, ist es völlig normal, dass ein Gericht und ein Getränk schnell 10 Euro oder mehr kosten.

Im Schulbereich gibt es oft die Erwartung, dass ein Essen höchstens drei Euro kosten darf. Manchmal sind die Preise auch bereits bei der Ausschreibung durch die Städte oder Träger gedeckelt, was zu weiteren Problemen führt. Es gibt einige Caterer, die ganz klar sagen, da machen wir nicht mit, zu derartig niedrigen Preisen ist ein qualitatives Essensangebot nicht möglich. Es fehlt in diesem Kontext oft das Verständnis, dass ein gutes Essen auch etwas kostet. 

Dennoch sind gerade in dieser Zeit – ebenso wie die Gemeinschaftsverpflegung – auch Familien vor finanzielle Herausforderungen gestellt.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) überreichte im März 2023 seine Stellungnahme zur "Ernährungsarmut unter Pandemiebedingungen in Deutschland" an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Sie befasst sich mit der Frage, wie sich die Corona-Pandemie auf von Ernährungsarmut gefährdete Menschen ausgewirkt hat. Ferner sind Empfehlungen für Maßnahmen enthalten, um in einer Krisensituation wie der Corona Pandemie, Essensangebote durch die Kita- und Schulverpflegung, die Tafeln und weitere Akteure sicherzustellen.

DGE-Blog:
Was bedeutet das für die Praxis?

Esther Schnur:
Essen ist etwas sehr Persönliches und mit Traditionen, Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen verknüpft. Daher ist es im Kitabereich wichtig, dass das gesamte Team, bestehend aus Küche, Hauswirtschaft und Pädagogik zusammenarbeitet. Dass sie sich über das Ernährungskonzept in der Kita verständigen und es als gemeinsame Aufgabe ansehen, dies zum Wohle der Kinder umzusetzen. Und natürlich müssen hier auch die Eltern mit ins Boot.

In der Schule ist die Essensausgabe häufig ein großer Knackpunkt. Lärm, Zeitdruck und ein wenig ansprechendes Ambiente wirken sich beispielsweise negativ auf den Appetit aus.

So wurde uns zum Beispiel von einem Schulcaterer berichtet, dass viele Kinder nach der Corona-Zeit und den Lockdowns erst wieder lernen mussten, vegetarische Gerichte und Vollkornnudeln „zu mögen“. Wir haben auch festgestellt, dass in Schulen das zertifizierte Angebot von den Kindern dann besonders gut angenommen wird, wenn es in der Kita bereits DGE-zertifiziertes Essen gab. Gesund zu essen lässt sich lernen.

DGE-Blog:
Verraten Sie uns, was Sie besonders gerne essen?

Esther Schnur:
Es wäre für mich viel leichter, auf die Frage zu antworten, was ich nicht gern esse. Das „Eine“ Lieblingsgericht habe ich nicht. Das können je nach Situation Kartoffelpuffer mit Apfelmus, gebratener Lachs zu Blattspinat, das Kartoffelgratin (das mein Ehemann zubereitet!!), Backofengemüse mit Dip oder auch mal das knusprig gebratene, panierte Schnitzel sein. Und in letzter Zeit habe ich die nordindische Küche mit ihren wunderbaren Gewürzen und Aromen für mich entdeckt.

DGE-Blog:
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schnur.