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Ernährungstherapie von Menschen mit Demenz und/oder kognitiven Defiziten

Ältere Frau sitzt neben einer Krankenpflegerin und hält eine Kaffetasse

© Alexander Raths │ stock.adobe.com

Menschen mit Demenz und/oder kognitiven Defiziten benötigen oft eine besondere Ernährung. Welche Auswirkungen die Demenz auf das Ernährungsverhalten haben kann, können Sie hier im Interview, das in der Septemberausgabe 2023 des Magazins DGEwissen erschien, nachlesen.

 

Interview mit Claudia Düssel-Fues I Petrus-Krankenhaus Wuppertal

Claudia Düssel-Fues

Claudia Düssel-Fues ist Diätassistentin mit besonderer Qualifikation für die Ernährung und Verpflegung von Senioren VDD, Diabetesassistentin DDG, Ernährungsberaterin/DGE und arbeitet im Team der Ernährungsmedizin des Petrus-Krankenhaus in Wuppertal.

Diätassistentin Claudia Düssel-Fues erzählt aus ihrem Arbeitsalltag und von den speziellen Anforderungen im Umgang mit Menschen mit Demenz, insbesondere im Bereich der Ernährung.

Magazin DGEwissen:
Frau Düssel-Fues, Sie arbeiten bereits seit 20 Jahren in der Ernährungsberatung mit dem Schwerpunkt Geriatrie. Wie häufig kommen Sie mit Menschen in Kontakt, die an Demenz erkrankt sind?

Claudia Düssel-Fues:
Im Prinzip täglich. Wir behandeln in der Klinik Mangelernährung, machen die Screenings und haben eine große Menge an geriatrischen Patienten und Patientinnen, die wir jeden Tag sehen. Wobei man unterscheiden muss zwischen Demenz und dem was davor ist, also beginnende kognitive Defizite beispielsweise.

Magazin DGEwissen:
Wenn Sie mit Patient*innen, die an Demenz erkrankt sind, neu zusammenarbeiten, worauf achten Sie besonders im ersten Gespräch?

Claudia Düssel-Fues:
Das ist so pauschal ganz schwer zu beantworten. Wenn die Person stark dement ist, ist es gar nicht möglich, eine Antwort auf die Frage „Was haben Sie heute gegessen?“ zu bekommen. Ich schaue dementsprechend zuerst, wie stark die kognitive Einschränkung bzw. wie weit die Demenz fortgeschritten ist. Kann ich mit der Person noch arbeiten bzw. kann ich eine Anamnese machen, oder gestaltet sich das schwierig? Dann sind die Angehörigen natürlich noch viel mehr im Fokus.

Magazin DGEwissen:
Wie gestalten Sie so ein Gespräch, welche Aspekte fragen Sie ab, wenn eine Anamnese noch möglich ist?

Claudia Düssel-Fues:
Als erstes stelle ich mich vor und erzähle den Menschen, wieso ich zu ihnen komme. Ich erkläre, dass ich mir ein Bild davon machen möchte, was gegessen wird, ob sie genügend essen und so weiter. Ich achte darauf, welche Bedürfnisse es gibt oder welche Wünsche der Mensch hat. Dafür ist Biografiearbeit ganz wichtig, wobei man sich auf die Ess- und Trinkbiografie auch nicht vollständig verlassen darf. Nur weil jemand immer gerne Erbseneintopf gegessen hat, heißt das nicht, dass das unbedingt noch der Fall ist. Da hat jemand zum Beispiel durch die Enkelkinder Kontakt zu Pizza gehabt und isst jetzt lieber neuere Gerichte.

Wichtig ist auch, nicht zu widersprechen und die Person zu verunsichern.


Grundsätzlich ist es einfach wichtig, sich wirklich Zeit zu nehmen, Geduld zu haben, Gelassenheit mitzubringen und Blickkontakt zu halten. Dann kann es helfen, einfache, kurze Sätze zu verwenden. Wichtig ist auch, nicht zu widersprechen und die Person zu verunsichern. Wenn jemand zum Beispiel sagt „Ich habe keine Zeit zum Essen, ich muss meine Tochter abholen und dafür muss ich jetzt etwas kochen“, könnte es hilfreich sein nachzufragen: „Was wollen sie denn kochen? Was isst ihre Tochter?“ und wertschätzend darauf eingehen, was die Person dazu äußert.

Magazin DGEwissen:
Welche Auswirkungen hat die Demenz auf das Ernährungsverhalten?

Claudia Düssel-Fues:
In einem Satz: Die Patienten und Patientinnen vergessen das Essen. Das bedeutet, häufig essen sie weniger und es besteht ein ganz großes Risiko für eine Mangelernährung. Die Leute erkennen das Essen oft auch gar nicht mehr und selbst wenn, wird die Wichtigkeit nicht mehr gesehen. Ich höre häufig Sätze wie: „Ich brauche nicht mehr viel, ich bewege mich ja kaum noch“. Bedarfsgerechte Ernährung rückt da in den Hintergrund – wichtig ist, dass die Patienten und Patientinnen überhaupt essen. Allerdings muss man zwischen stationär und ambulant unterscheiden.

Die Patienten und Patientinnen vergessen das Essen. Das bedeutet, häufig essen sie weniger und es besteht ein ganz großes Risiko für eine Mangelernährung.


Es gibt wiederum auch Patienten und Patientinnen, die haben Hunger und vergessen, dass sie bereits gegessen haben. Die nehmen dann eher zu viel Nahrung zu sich. Ein Lösungsansatz könnte in diesem Fall sein, den Kühlschrank mit viel Gemüse zu füllen, da ist es unproblematisch, wenn davon sehr viel verzehrt wird.

Magazin DGEwissen:
Was sind für Sie Herausforderungen in der Therapie und Beratung von Personen mit Demenz bzw. kognitiven Defiziten?

Claudia Düssel-Fues:
Wie bei vielen älteren Menschen schwindet das Hunger- und/oder Durstgefühl und es besteht häufig wenig Appetit. Essen ist dann wenig relevant. In der Beratung haben wir natürlich das Problem, dass sich alles schlechter gemerkt wird. Daher begrenze ich mich da wirklich aufs Wesentliche, schreibe viel auf und habe spezielle Unterlagen, die ich an diese Personen herausgebe. Außerdem frage ich am Ende der Beratungszeit oft nach, was die Personen von der Sitzung mitgenommen haben. Allgemein wäre mein Tipp, diese Menschen öfter aufzusuchen oder auch mal während den Essenszeiten vorbeizugehen und zu schauen, was gegessen wird und wie die Person reagiert.

Magazin DGEwissen

Cover der DGEwissen Ausgabe 3/2024

Magazin DGEwissen:
Welche weiteren Probleme treten bei Menschen mit Demenz in Bezug auf Ernährung auf (Abneigung gegen Gerüche, Untergewicht, Horten von Lebensmitteln etc.) und welche praktischen Lösungen gibt es?

Claudia Düssel-Fues:
Im ambulanten Bereich wird häufig viel gehortet. In der Klinik auch, aber da sind die Möglichkeiten räumlich begrenzter und das Pflegepersonal ist meist geschult und schaut regelmäßig nach. Den Angehörigen rate ich immer, regelmäßig zu überprüfen, ob Lebensmittel noch haltbar sind, und den Kühlschrank zu kontrollieren. Um zu vermeiden, dass Dinge schimmeln, kann zum Beispiel Essen zum gemeinsamen Verzehr mitgebracht werden, dann entstehen keine Reste.

Eine Abneigung gegen Gerüche kann sich entwickeln. Besonders im Krankenhaus gibt es viele verschiedene Gerüche und nicht alle sind angenehm. Da sollte darauf geachtet werden, dass unangenehme Gerüche ausgeschaltet werden, häufig wird Kaffeeduft dafür verwendet, aber auch den mag nicht jede und jeder.

Alleine essen ist für die meisten Menschen ganz schwierig.

Um Untergewicht zu vermeiden finde ich es wichtig, darauf zu achten, was die Menschen gerne essen, oft kann man da über den süßen Geschmack viel erreichen. Ich empfehle immer eine individuelle Essensbegleitung, sich wirklich mit an den Tisch setzen und der Person auf der gleichen Ebene begegnen, nicht nur danebenstehen. Alleine essen ist für die meisten Menschen ganz schwierig. Fingerfood ist sehr gut geeignet, damit in zwei bis drei Bissen alles gegessen ist. Die Koordination von Messer und Gabel fällt den Betroffenen oft schwer. Da rate ich den Angehörigen auch oft, sich zurückzuhalten, damit nicht so Sätze fallen wie „Mensch Herbert, doch nicht ohne Besteck“. Auch wie Brote gegessen werden, ob zuerst Brot und dann Marmelade – das ist ganz egal, Hauptsache es wird gegessen.

DGE-Qualitätsstandards

Kriterien für eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung in Gemeinschaftseinrichtungen bieten die fünf DGE-Qualitätsstandards.

Magazin DGEwissen:
Was muss bei der Zubereitung der Speisen für Menschen mit Demenz berücksichtigt werden?

Claudia Düssel-Fues:
Der Geruchs- und der Geschmackssinn verändern sich, süß bleibt meist bis ans Lebensende. Da Mangelernährung so ein großes Problem ist, kann man da ruhig mutig sein. Die Menschen wollen nicht unbedingt jeden Tag Milchreis oder Pfannkuchen, aber auch andere Speisen können nachgesüßt werden, wie Heringsdip oder Leberwurst. Einfach mal Zucker drüberstreuen, auch wenn das nicht den typischen Empfehlungen entspricht. Der Fokus ist in diesen Fällen ein anderer. Wichtig ist auch die Präsentation des Essens. Mit Farben arbeiten, damit das Essen ansprechend ist, dabei aber auch nicht zu grell werden.   Den Betroffenen fehlt häufig Struktur im Tagesverlauf und Mahlzeiten können diese ein bisschen zurückgeben. Daher mit dem Geschirr klappern, wenn das Essen zubereitet wird. Saisonale Gerichte kochen, damit die Person ein Gefühl für Jahreszeiten bekommt und auch den Tisch entsprechend eindecken. Das sind alles Kleinigkeiten, mit denen ein bisschen Struktur geschaffen werden kann.

Magazin DGEwissen:
Haben die Patienten und Patientinnen auch einen besonderen Nährstoffbedarf?

Claudia Düssel-Fues:
Häufig besteht ein erhöhter Kalorienbedarf, da sich die Menschen wegen großer Unruhe viel bewegen. Manche kommen auf bis zu 3 000 kcal/Tag. Diesen Bedarf abzudecken ist natürlich eine Herausforderung. Wir arbeiten in solchen Fällen teils mit appetitanregenden Lebensmitteln wie Bitter Lemon, Malztrunk, bitterstoffhaltigen Tees oder Ingwer. Im Klinikalltag werden auch manchmal Pepsinwein oder Dronabinol eingesetzt. Bei einer Mangelernährung kommt im Ernstfall hochkalorische Trinknahrung zum Einsatz. Wegen des veränderten Tag-Nacht-Rhythmus bietet sich auch ein Nachtcafé an, bei dem die Menschen auch spät noch kleine Snacks bekommen.
Ansonsten besteht kaum ein Unterschied zu den Nährstoffen, die bei den meisten Senioren und Seniorinnen kritisch sind, wie Calcium, Vitamin D, Vitamin B12, Folat und Zink.

Weitere Fragen zu Themen wie der interdisziplinären Zusammenarbeit, der Rolle der Angehörigen, hilfreichen Tipps und Informationsmöglichkeiten
finden Sie im kompletten Interview in der Online Version des Magazins DGEwissen und in der DGEwissen App.