Die Beeinflussung der Darmflora durch die Ernährung sowie hemmende und fördernde Ernährungsfaktoren auf die Tumorentstehung sind Themen des vorletzten Teils des Überblicks über die 9 Kapitel des Ernährungsberichts 2004. Über mit verschiedenen (Nähr-)Stoffen angereicherte Lebensmittel und/oder Nahrungsergänzungsmittel versucht der Mensch Einfluss auf seine Gesundheit zu nehmen. Manche prä- und probiotischen Lebensmittel mögen dabei helfen; sicherer ist aber der Weg über die richtige Auswahl an Lebensmitteln.
Der Darmflora kommt für die Gesundheit des Menschen eine wichtige Rolle zu. Die mikrobielle Besiedelung des bei Geburt sterilen Darms erfolgt bei gestillten Säuglingen überwiegend mit Bifidobakterien, bei auf Kuhmilchbasis ernährten Säuglingen mit einer Mischflora. Die aus Bifidobakterien bestehende Flora der gestillten Säuglinge führt zu einer starken Absenkung des pH-Werts des Darminhalts und stellt damit einen wichtigen Schutz vor Infektionen dar. Mit der Umstellung der Ernährung von Frauenmilch auf kuhmilchbasierte Produkte, Brei und feste Nahrung gleichen sich die Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmflora gestillter und nicht gestillter Kleinkinder aus. Während des 1. Lebensjahres stabilisiert sich die Darmflora und erreicht allmählich die Zusammensetzung der Erwachsenenflora. Eine typische Erwachsenenflora gibt es nicht, gleichwohl sind bestimmte dominierende Bakteriengattungen immer nachweisbar.
Die verschiedenen Abschnitte des Magen-Darm-Trakts unterscheiden sich signifikant in ihrer mikrobiellen Besiedlung: Die mit Abstand größte Zahl – mehr als 99 % aller im Verdauungstrakt nachweisbaren Mikroorganismen – befindet sich im Dickdarm. In den oberen Abschnitten des Verdauungstrakts (Magen und Zwölffingerdarm) lassen sich nur geringe Mengen von Mikroorganismen nachweisen. Längst nicht alle Bakterien der Darmflora können durch mikrobiologische Kultivierungsmethoden erfasst werden. Durch Anwendung moderner molekularbiologischer Verfahren konnte gezeigt werden, dass etwa 75 % der molekularbiologisch erfassten Informationen keiner bekannten Bakterienspezies zuzuordnen waren.
Eine etablierte Darmflora ist unter konstanten Lebensbedingungen relativ resistent gegen die Etablierung neuer, insbesondere pathogener Mikroorganismen. Verdauliche Lebensmittelinhaltsstoffe stehen den Organismen der Darmflora nur in so weit zur Verfügung, als dass sie nicht bereits in den oberen Abschnitten des Verdauungstrakts, insbesondere im Ileum, aufgeschlossen und absorbiert worden sind. Für die Entwicklung der Mikroorganismen der Dickdarmflora sind daher die unverdaulichen Nahrungsbestandteile wie Ballaststoffe von entscheidender Bedeutung. Ballaststoffe, die vor allem das Wachstum von Bakterien mit protektiven Eigenschaften fördern sollen, werden als Präbiotika bezeichnet. Die bekanntesten sind Inulin und Oligofructose. Bifidobakterien wie auch andere Milchsäurebakterien sollen auf den Wirtsorganismus protektive Wirkungen ausüben. Stämme von Bifidobakterien und Laktobazillen, für die solche gesundheitsfördernden Wirkungen nachgewiesen sind, werden als Probiotika bezeichnet. Zurzeit werden in Lebensmitteln derartige Stämme eingesetzt, für die neben der gesundheitlichen Wirkung nachgewiesen ist, dass sie die Magen-/Dünndarmpassage überstehen und in aktiver Form in signifikanten Zahlen im Dickdarm nachweisbar sind. Die Frage, ob durch die Anwesenheit eines neuen Bakterienstammes in der Darmflora der Anteil anderer Bakterien an der Gesamtflora beeinflusst wird, ist bisher nicht eindeutig zu beantworten. Keinesfalls kommt es zu drastischen Veränderungen in der Zusammensetzung der dominanten Flora.
Während Kohlenhydrate und Proteine für den Stoffwechsel der Darmflora von großer Bedeutung sind, stehen auf Grund der hervorragenden Absorption von Fett im Dünndarm, im Dickdarm nur geringe Mengen an Fett zur Verfügung.
Viele Bakterien sind in der Lage Substanzen zu bilden, die antibakteriell wirken. Am bekanntesten sind Bakteriozine, das sind Peptide oder Proteine, die aus den Bakterien ausgeschleust werden und gegen andere Bakterien wirken.
Bakterien sind mit einer Vielzahl von Enzymen ausgestattet, die auch in der Lage sind Reaktionen zu katalysieren, die zu toxischen oder kanzerogenen Substanzen führen. Der Einsatz von Pro- und/oder Präbiotika scheint zu einer Verringerung der Aktivität eines oder mehrerer unerwünschter Enzyme zu führen.
Probiotische Bakterien zeigen Gesundheitseffekte, die direkt oder indirekt mit dem Magen-Darm-System in Beziehung stehen. Die meisten ihrer Wirkmechanismen sind mit der Zusammensetzung der Darmflora verknüpft: So können zahlreiche probiotische Bakterienstämme die Kolonisierung des Darms durch pathogene Mikroorganismen und deren Ausbreitung durch die Darmwand in die Blutbahn und in andere Organe hemmen. Eine Reihe positiver Wirkungen von Probiotika werden deshalb bei Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, z. B. Durchfällen, beobachtet. Die Beschwerden bei Lactoseintoleranz lassen sich durch den Verzehr von probiotischen Bakterien verringern.
Die intestinale Mikroflora stellt eine bedeutende Antigenquelle, insbesondere für das darmassoziierte Immunsystem, dar. Die Entwicklung des Immunsystems nach der Geburt hängt entscheidend von der Entwicklung der Zusammensetzung der körpereigenen Mikroflora ab. Es überrascht daher nicht, dass praktisch alle diesbezüglich untersuchten probiotischen Bakterienstämme immunmodulierende Eigenschaften aufweisen.
Beim Menschen ließen sich die Besiedlung des Nasenraums mit pathogenen Bakterien und die Rückfallhäufigkeit bei chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen durch verschiedene Probiotika verringern. Bei ansonsten gesunden Erwachsenen, die ein bifidobakterien- und laktobazillenhaltiges probiotisches Präparat erhielten, war in zwei Winterperioden die Schwere und Dauer von Erkältungen im Vergleich zu einer Placebogruppe reduziert. Befunde aus Finnland weisen darauf hin, dass probiotische Mikroorganismen nicht in jedem Fall stimulierend auf das Immunsystem wirken, sondern bei Allergikern oder Kindern mit atopischer Dermatitis (Neurodermitis) eher immunmodulierend wirken. So fühlten neurodermitische Kinder, die eine hypoallergene Nahrung zusammen mit Probiotika erhielten, signifikant weniger Beschwerden als atopische Kinder, welche die gleiche hypoallergene Nahrung ohne Probiotika erhielten. Und durch präventive Gabe von Probiotika ließ sich bei erblich gefährdeten Kindern die Häufigkeit von Neurodermitis in den ersten 4 Lebensjahren halbieren.
Durch Ad- und Absorption, Verstoffwechselungen oder Beeinflussung der Intestinalflora können Milchsäurebakterien die Konzentration (pro- )kanzerogener, mutagener und genotoxischer Stoffe sowie krebspromovierender Enzyme im Darm senken. Es lässt sich aber nach wie vor kaum abschätzen, ob durch den Verzehr von Probiotika beim Menschen die Häufigkeit von Krebs, z. B. des Kolonkarzinoms (und anderer Krebsarten), gesenkt werden kann.
Mit Präbiotika wie Inulin und seinem Hydrolyseprodukt Oligofructose ließen sich in Tier- und Humanstudien eine Reihe gesundheitsrelevanter Effekte zeigen. Diese präbiotischen Kohlenhydrate werden von der Dickdarmflora fermentiert. Dadurch erhöhen sie die Biomasse, das Gewicht des Stuhls und die Stuhlfrequenz. Sie helfen bei Obstipation und fördern die Gesundheit der Darmmukosa. Diese Präbiotika haben auch einen spezifischen Effekt auf bestimmte günstige Darmbakterien, insbesondere die Bifidobakterienflora. Sie hemmen gleichzeitig einzelne Bakterienstämme mit pathogenem Potenzial wie Clostridium und verringern dabei das Durchfallrisiko.
In verschiedenen Tiermodellen ließen sich sogar chemisch induzierte präkanzeröse Läsionen und längerfristig die Häufigkeit von Tumoren im Dickdarm durch 5 % bis 15 % Inulin und Oligofructose in der Diät reduzieren. Dieser Effekt konnte durch symbiotische Kombinationen von Präund Probiotika noch gesteigert werden.
Inulin und Oligofructose modulieren den Lipidstoffwechsel der Leber in Ratten- und Hamstermodellen bei Fütterung einer „western-style“-Diät. Durch koordinierte Aktivitätsminderung lipogener Enzyme und Reduktion der VLDL-Partikelkonzentration, ließen sich die postprandialen Cholesterol- und Triglyceridkonzentrationen im Plasma senken. Pro-, Prä- oder Synbiotika scheinen nur bei Personen mit Hypercholesterolämie die Cholesterolkonzentration im Plasma zu senken.
Eine pH-Absenkung durch Präbiotika fördert durch eine Erhöhung der Löslichkeit die Calcium-, Eisen- und Magnesiumabsorption im Dickdarm und könnte so z. B. der Entwicklung einer Osteoporose entgegenwirken. Inulin und Oligofructose können auch indirekt über die Beeinflussung der Darmflora, verschiedene Parameter des Immunsystems, wie die NK-Zell-Aktivität, die Sekretion von IL-10 und Interferon und die Lymphozytenproliferation modulieren.
Laktobazillen und Bifidobakterien gelten generell als sicher. Gesundheitsrisiken durch Überdosierung, lange Verzehrsdauer oder – bei Personen mit gestörter Immunabwehr – auf Grund der immunstimulierenden Eigenschaften von Probiotika wurden ebenfalls bislang nicht beobachtet. Einige wenige Fälle von unerwünschten Wirkungen können diese Bewertung der Probiotika nicht beeinträchtigen und das Risiko bakterieller Infektionen ist durch den Anstieg des Verzehrs probiotischer Lebensmittel nicht gestiegen.
Für die primäre Prävention von malignen Erkrankungen sind drei Faktoren – die Ernährung, die körperliche Aktivität und das Körpergewicht – von großer Bedeutung.
In diesem Kapitel wurde für Lebensmittel und Nährstoffe eine Beurteilung ihrer protektiven oder schädigenden Wirkung in Bezug auf die Krebsentstehung nach evidenzbasierten Kriterien vorgenommen.
Für Obst und Gemüse wurde eine wahrscheinliche bis mögliche Evidenz einer präventiven Assoziation zu einer großen Zahl von Tumoren, insbesondere der Verdauungs- und Atmungsorgane (oberer Verdauungstrakt, Magen, Dickdarm, Lunge) festgestellt. Die biologische Plausibilität der protektiven Wirkungen von Obst und Gemüse liefern die Ergebnisse tierexperimenteller Studien, in denen eine verminderte Zellproliferationsrate, eine Zunahme der Phase-II-Enzymaktivitäten sowie eine Abnahme von DNA-Schäden beobachtet wurden.
Bei der Lebensmittelgruppe Fleisch sollte in Bezug auf das Krebsrisiko zwischen Fleisch an sich, rotem Fleisch (Schaf, Rind, Schwein) und verarbeiteten Fleischprodukten, z. B.Wurst, Schinken, Pökelwaren, unterschieden werden. Der Verzehr von Fleischwaren ist mit dem höchsten Anstieg des Risikos für kolorektale Tumoren assoziiert. Die Evidenz für einen risikoerhöhenden Effekt durch den Verzehr von rotem Fleisch in Bezug auf das Dickdarmkrebsrisiko wird von den Autoren dieses Kapitels als möglich und für den Verzehr von verarbeiteten Fleischwaren als wahrscheinlich eingestuft. Die Evidenz für einen risikoerhöhenden Effekt des Fleischverzehrs auf das Brustkrebsrisiko wird als möglich beurteilt. Die biologische Plausibilität dafür wird aus der Wirkung von spezifischen Zubereitungstechniken von Fleischwaren mit großer Hitze (Braten und Grillen) und dabei entstehenden kanzerogenen Verbindungen hergeleitet. Demgegenüber zeigt weißes Fleisch (Fisch und Geflügel) kein Potenzial, das Krebsrisiko zu erhöhen.
Der erhöhte Verzehr von Milch und von Milchprodukten insgesamt wird mit einem geringeren Risiko für ein kolorektales Karzinom in Verbindung gebracht. Ein höherer Verzehr von fettarmen Milchprodukten war mit einem geringeren Brustkrebsrisiko verbunden.
Erhöhten Konzentrationen von kurzkettigen Fettsäuren und n-3-FS wird eine krebsprotektive und mittelkettigen Fettsäuren sowie Arachidonsäure eine die Karzinomentstehung begünstigende Wirkung zugesprochen.
Untersuchungen haben lange Zeit darauf hingewiesen, dass Ballaststoffe aus der Nahrung eine schützende Wirkung gegen kolorektale Tumoren haben können. Zwischenzeitlich haben Untersuchungen zur Senkung der Rezidivrate von kolorektalen Adenomen diese Beurteilung abgeschwächt. Dennoch bewerten die Autoren dieses Kapitels die Evidenz für einen risikosenkenden Effekt von Ballaststoffen für Dickdarmkrebs vor allem auf Grund von neuen Befunden der EPIC-Studie insgesamt als möglich.
Der glykämische Index (GI) wird in den letzten Jahren sowohl im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf- wie auch Krebserkrankungen häufig diskutiert. Die bisherigen Erkenntnisse liefern insgesamt Hinweise dafür, dass das Risiko für Dickdarmkrebs mit zunehmendem Anteil von Lebensmitteln mit hohem GI ansteigt. Auch für einen Zusammenhang des GI mit dem Brustkrebsrisiko gibt es Hinweise. Insgesamt reichen diese Befunde aber nicht aus, einen risikoverstärkenden Effekt eines hohen GI auf die genannten Krebsarten zu postulieren. Alkohol wird seit vielen Jahren als ein Promotor für die Entstehung von bösartigen Tumorerkrankungen diskutiert. Aus den bisherigen Daten lässt sich kein Schwellenwert für die Entstehung maligner Tumoren des Verdauungstrakts durch Alkoholkonsum ableiten. Für einen risikoerhöhenden Effekt durch Alkohol bei Leberkrebs wird die Evidenz sogar als überzeugend dargestellt. Das Gleiche gilt für den risikoerhöhenden Effekt durch Alkohol bei Brustkrebs. Ebenso erhöht Alkohol das Risiko für Karzinome in Mund, Rachen und Speiseröhre.
Fettsucht geht mit einem erhöhten Krebsrisiko einher. Die Evidenz eines risikoerhöhenden Effekts durch Übergewicht wurde von einem WHOExpertengremium für einige Tumorarten als überzeugend bewertet. Auch die Fettgewebsverteilung hat einen Einfluss. So ist das Verhältnis von Bauch- zu Hüftumfang positiv mit dem Dickdarmkrebsrisiko assoziiert.
Die Evidenz für einen risikosenkenden Effekt körperlicher Aktivität bei malignen Rektum- und Kolontumoren wurde von einem Expertengremium der WHO als überzeugend eingestuft. Beim Mammakarzinom reduziert sich das Risiko durch körperliche Aktivität um 20 % bis 40 %.Auch der Evidenzgrad für diese Assoziation wird als überzeugend betrachtet.
Für die krebspräventive Wirkung von Probiotika gibt es derzeit keine direkte experimentelle Evidenz. Für Präbiotika konnten in Tierversuchen antikanzerogene Eigenschaften beobachtet werden, die sowohl auf einer stimulierenden Wirkung auf das Bakterienwachstum als auch auf der zellproliferierenden und -differenzierenden Wirkung von Butyrat, einem Fermentationsprodukt des Bakterienstoffwechsels im Kolon, beruhen können. Die Relevanz dieser Befunde für den Menschen, d. h. die Überprüfung der Effekte in Interventionsstudien am Menschen, steht noch aus. Bei Vitamin- und Mineralstoffsupplementen scheinen besonders Calcium und Selen Substanzen mit potenziell krebspräventiven Eigenschaften zu sein. Aus den bisher durchgeführten Interventionsstudien am Menschen ergibt sich jedoch keine überzeugende Evidenz für eine krebspräventive Wirkung durch antioxidative Vitamine oder die genannten Mineralstoffe.
Durch Änderungen des Lebensstils wäre in der Bevölkerung ein nicht unerhebliches Präventionspotenzial zur Verminderung von Krebs vorhanden. Der steigenden Zahl von Krebserkrankungen auf Grund der zunehmenden Lebenserwartung könnte durch Nutzung dieses Präventionspotenzials entgegengewirkt werden. Diese Nutzung gestaltet sich jedoch schwierig, da klare gesundheitspolitische Entscheidungen erforderlich sind, in welcher Art und mit welchen Maßnahmen Krankheitsprävention in diesem Bereich zukünftig betrieben werden soll. Maßnahmen, welche die Struktur der Lebensmittelerzeugung und deren Angebot beeinflussen, wären ebenso denkbar wie Maßnahmen, die Einfluss auf das Kauf- und Essverhalten der Verbraucher haben.
Aus der Bewertung der das Tumorrisiko modifizierenden Ernährungsfaktoren ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Einerseits sollten auf Grund des derzeitigen Kenntnisstandes Leitlinien zur Krebsprävention durch Ernährung erstellt und in der Bevölkerung umgesetzt werden. Dazu zählen aus heutiger Sicht neben dem Nichtrauchen eine starke Erhöhung des Gemüse- und Obstverzehrs, die regelmäßige Gewichtskontrolle und ein körperlich aktiver Lebensstil. Andererseits sollte das akademische Interesse an Erkenntnisgewinn nicht nachlassen und vor allem weiter gefördert werden.
Der Ernährungsbericht 2004 befasst sich mit der Ernährungssituation in Deutschland. Jetzt bestellen